New Orleans als Modell kolonial-urbaner Ordnung

Der 11. September 1722 hätte für den königlichen Ingenieur von New Orleans, Pierre Le Blond de La Tour, kaum unheilvoller beginnen können: Um neun Uhr morgens war die Stadt am Mississippi völlig unerwartet von starken Winden heimgesucht und nur eine Stunde später von einem verheerenden Hurrikan überzogen worden. Dessen Stärke hatte erst gegen vier Uhr in der Frühe des Folgetages nachgelassen. Zusammenfassend hielt Le Blond de La Tour in seiner Korrespondenz mit dem französischen Marineministerium am 13. September trocken fest: ,,[Der Sturm] hat mindestens zwei Drittel der hiesigen Gebäude zerstört und jene, die noch stehen, befinden sich in einem solch schlechten Zustand, dass man sie wohl niederreißen muss. Die Kirche, das Presbytère, die Krankenstation und ein Kasernenbau, der eine Reihe von Arbeitern beherbergt, gehören zu den Gebäuden, die zerstört wurden, ohne dass, dank sei dem Herrn, irgendjemand getötet wurde.“ Dem Herrn dankte Le Blond de La Tour vermutlich nicht nur ob der verschonten Menschenleben. Auch die Zerstörungen des Sturmes kamen dem Planer der kürzlich zum Kolonialsitz ernannten Stadt nicht ungelegen: ,,All diese Gebäude waren alt und behelfsmäßig errichtet, kein einziges befand sich in der Ausrichtung der neuen Stadt. Sie alle hätten so oder so abgerissen werden müssen.“ Die Zerstörungen des Sturmes hatten also eine Vielzahl von Abrissarbeiten vorweggenommen, die aufgrund der Neuanlage von New Orleans ohnedem notwendig gewesen wären.

Ausgehend von diesen Beobachtungen erkunde ich in einem nun veröffentlichten Artikel die Neuanlage und Stadtentwicklung von New Orleans nach den Vorstellungen von Le Blond de La Tour sowie nach den Ideen seiner Helfer und Nachfolger. Wie der Titel des Beitrags bereits andeutet, frage ich dabei, inwiefern „New Orleans als Modell kolonial-urbaner Ordnung“ oder aber als brüchiges Modell kolonialer Unordnung gelten kann.

Der Aufsatz ist in der Zeitschrift für Weltgeschichte erschienen und dank Open Access Regelung frei zugänglich: https://doi.org/10.3726/ZWG0120198

Hübner, Andreas. „‚Notre Ville est fort belle‘: New Orleans als Modell kolonial-urbaner Ordnung“, Zeitschrift für Weltgeschichte 20:1 (2019): 105–124. (peer reviewed) Download

Migration und Familie

Seit Längerem interessieren mich die Mechanismen der kolonialen Wissensproduktion. Dadurch ist im Rahmen meiner Studien zur Côte des Allemands auch der Themenkomplex „Kolonie, Kirche und Familie“ immer wieder ins Zentrum der Untersuchungen gerückt. Beim Blick in die Überlieferungen fiel mir stets die Einpassung sogenannter „deutscher“ Familien in die koloniale Wissensproduktion sowie in die kolonialen Machtbeziehungen ins Auge. Dabei wurde die Familie als universeller Referenzpunkt gesetzt, diese Setzung in der Forschung bisher aber kaum hinterfragt. Dies überrascht durchaus, stellte sich die der Kolonialisierung Louisianas zugrunde liegende Migration doch zunächst als Familien-zersetzendes Projekt dar: Unzählige Akteure kamen auf dem Weg nach Louisiana ums Leben oder starben nach ihrer Ankunft an den Stränden des Golfs von Mexiko aufgrund mangelnder Versorgung. Familien wurden zerrissen und teils komplett zu Grabe getragen. Erst nach einer Phase der Konsolidierung entstanden nach 1721 neue Familien und Familiennetzwerke, die auch die Machtbeziehungen der jungen Kolonie widerspiegelten.

Der Repräsentation und Inszenierung dieser Machtbeziehungen in Kirchenregistern bin ich nun in einem Beitrag nachgegangen, der im Oktober 2017 in einem Sammelband mit dem Titel Migration und Familie erschienen ist. Herausgegeben von Meike Baader, Wolfgang Gippert und Petra Götte vereint der Band historische und aktuelle Analysen des Schwerpunktes „Familie und Migration“ und basiert auf einer Tagung des Arbeitskreises „Historische Familienforschung“ aus dem Januar 2015.

Der Beitrag ist als Pdf-Datei verfügbar.

Hübner, Andreas. „Kolonie und Familie: Die Kirchenregister der Côte des Allemands und die Ausbildung familialer Netzwerke im Louisiana des 18. Jahrhunderts“, in Migration und Familie: Historische und aktuelle Analysen, hrsg. v. Meike Baader, Wolfgang Gippert und Petra Götte. Wiesbaden: VS Springer, 2017. 21–38.

Family Networks in Colonial Louisiana

20170113_122002Basierend auf einem Vortrag aus dem Jahr 2014 hat das Yearbook of German-American Studies kürzlich einen peer reviewten Artikel von mir veröffentlicht, der die Ausbildung von Familiennetzwerken im kolonialen Louisiana erkundet. Durch die Analyse von Tauf-, Heirats- und Sterbeeinträgen in Kirchenregistern wird in dem Aufsatz nachgewiesen, wie sich die kolonialen Akteure religiöse Akte und Institutionen aneigneten, um familiale Netzwerke im Louisiana des 18. Jahrhunderts zu produzieren und zu inszenieren. Der Artikel fokussiert dabei vor allem das Zusammenspiel von kapuzinischen Geistlichen und so genannten „petits habitants“, einfachen Siedlern, im Aufbau von Verwandtschaftsbeziehungen. Konzeptuell stellt der Beitrag damit eine Hälfte meines Versuches dar, die Anfertigung von Kirchenregistern im Rahmen einer generellen, kolonialen Wissensproduktion zu verstehen. Die zweite Hälfte dieses Versuches, in dessen Vordergrund die Aspekte „Migration – Familie – Macht“ stehen, wird ebenfalls in Kürze in einem Sammelband des Arbeitskreises für Historische Familienforschung erscheinen.

Hübner, Andreas. „Family Networks in Colonial Louisiana: Evidence from Eighteenth-Century Parish Records“. Yearbook of German-American Studies 50 (2015): 59–73. (peer reviewed)